Der gekränkte kleine Junge und die digitale Welt

Ein Kommentar von Götz Eisenberg

In der Sonntagsausgabe der FAZ, die diesmal wegen der Wetterverhältnisse erst am Montag ausgeliefert wurde, las ich einen Artikel über das Twittern von Donald Trump. Nachdem  Mitte Dezember ein chinesisches Kriegsschiff eine amerikanische Forschungsdrohne beschlagnahmt hatte, protestierte das Pentagon und es folgten Verhandlungen über die Rückgabe der Drohne. Zwei Tage nach dem Vorfall setzte der gewählte Präsident Trump folgenden Tweet ab: „China stiehlt in internationalen Gewässern eine Forschungsdrohne der US-Navy – reißt sie aus dem Wasser und nimmt sie in einem präzedenzlosen Akt mit nach China.“ Staat „unprecedented“ hatte Trump zunächst „unpresidented“ geschrieben, und diesen Verschreiber finde ich viel interessanter als den Sachverhalt selbst.

Wie wir von Freud wissen, ermöglichen uns Versprecher, Verschreiber und andere Fehlleistungen Einblicke in die unbewussten Dimensionen eines Menschen. Statt beispiellos, unerhört, noch nie dagewesen schreibt er „unpresidented“, also im Klartext: ohne mich zu fragen. Der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika reagiert wie ein gekränkter kleiner Junge, dem ein Nachbarsjunge ein Spielzeug weggenommen hat.

Diese glücklicherweise harmlos verlaufene Krise zeigt uns, wohin das Regieren mit dem Smartphone in der Hand und per Tweet führen kann. Aus einer Farce kann durch einen twitternden Präsidenten, der offenbar schutz- und distanzlos seinen spontanen Impulsen und Gefühlsregungen ausgeliefert ist, schnell eine veritable und bedrohliche Krise werden. Trump ist eine Katastrophe, weil er sich – nicht nur in dieser Szene und dem Verschreiber – als pathologischer  Narzisst erweist. Wenn er tatsächlich vier Jahre Präsident ist und sich kein Supergau ereignet, werden wir das als Gottesbeweis nehmen können.

Vor Jahren hatte der damalige Bundespräsident Wulff eine Nachricht an den Chefredakteur der Bild-Zeitung auf dessen Mailbox gesprochen und sich ihm damit auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Unterstellt, so kommentierte die Süddeutsche Zeitung damals, „eine hochrangige Persönlichkeit wird für einen Moment vom Zorn übermannt, ruft beim Chefredakteur einer befreundeten Zeitung an und spricht, weil dieser nicht rangeht, finstere Drohungen auf den Audiorekorder. Kaum aber hat der Mann seinem Ärger Luft gemacht, meldet sich der Verstand zurück, und zwar mit der niederschmetternden Botschaft: Das war eine Dummheit. Aber diese Riesendummheit ist auf der Mailbox, und kein Machtwort holt sie wieder zurück.“

Früher diktierte oder schrieb man einen Brief, eine Kulturtechnik, die zwischen einen wütenden Impuls und seine Umsetzung eine Phase der Besinnung einlegte. Wie hilfreich der Brief als Mittel der Deeskalation ist, kann man bei Karl Valentin nachlesen. In einem seiner Dialoge diktiert er schwer beleidigt ein Schreiben an einen Freund, der unter anderem als „hundsgemeiner Sauhund“ beschimpft wird. Nachdem er sechs Briefbögen wegen inhaltlicher und juristischer Bedenken zerrissen hat, findet er endlich die richtigen, in ihrer Schlichtheit und Kürze vorbildlichen Worte: „Geehrter Herr! Ich beschließe nun mein Schreiben und erachte die ganze Angelegenheit für entwichen.“

Zu dieser eleganten Formulierung wäre Valentin nie gelangt, wenn er seinen hundsgemeinen Sauhund direkt in die Mailbox gebrüllt, als SMS oder gar als Tweet an alle Welt verschickt hätte.

©Grafik: fax-1889060 by 3dman_eu, pixabay, CC0


 

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