„Weiterleben“ – Ein Gedicht von Anja Arneth

Weiterleben

Jetzt liegst du vor mir,
du ringst nach Luft.

Hast du dich je gefragt,
warum du so sehr leiden musst?

Deine mageren Finger zittern,
jede kleinste Bewegung kostet Kraft.

Hast du dich je gefragt,
ob du Böses getan hast?

Deine trüben Augen suchen nach mir,
vielleicht auch nach deinem zweiten Kind.
Hättest du ihn lieber hier?
Deine trüben Augen suchen weiter,
doch meinen Blick zu finden
scheint übermäßig schwer.

In feinen Perlen tritt
warmer Schweiß auf deine Stirn.
So funkelnd – und doch,
ebenso zerbrechlich
wie in diesem Moment
alles an dir.

Das Streicheln meiner Finger
hinterlässt Gänsehaut
auf deinem dünnen Unterarm.
Ein schmerzliches Stöhnen
verlässt deine Mundhöhle.
Dein Atem ist nicht mehr warm.
Deine halboffenen Augen
schließen sich vollständig.
Vielleicht ein letztes Mal.

Und mit dem salzigen Geschmack meiner Tränen
wird mir bewusst,
dass du tatsächlich sterben musst.

Ich gehe.

Anja Arneth

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Bildquelle: ©Foto: Sigrid Roßmann/ www.pixelio.de