„Stärker auf die Persönlichkeit von Tätern schauen“
Soziologe Yendell warnt nach Anschlag in Halle vor zu starker öffentlicher Fokussierung auf politische Dimension der Tat
Mitteilung: Universität Leipzig
Nach dem Anschlag in Halle/Saale warnt ein Experte der Universität Leipzig davor, die Ursachenforschung zu sehr auf die politische Dimension zu konzentrieren. Das beflügle potenzielle Nachahmer, da die Täter unbewusst als politische Freiheitskämpfer dargestellt würden, sagt Soziologe Dr. Alexander Yendell, der Mitglied des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung (KReDo) der Universität Leipzig ist.
Er plädiert dafür, stärker auch auf die psychologischen Hintergründe solcher Taten zu schauen und forscht selbst gerade intensiv an diesem Thema. … weiter
Quelle: www.uni-leipzig.de
Zu “Stärker auf die Persönlichkeit von Tätern schauen”
Der Attentäter in Halle hatte „rechtsextreme Vorbilder“, lieferte aber vor allem „ein Bild von gekränkter Männlichkeit“ – so die Presse gleich am Tag nach der Tat (Der Tagesspiegel, 10.10.19). Das ist auch das Leitmotiv zahlloser Experten-Einlassungen zu dem Thema, wie sich überhaupt die Psychologisierung, d.h. der Aufweis pathologischer Momente in Werdegang und Konstitution von (männlichen) Rechtsterroristen bzw. -extremisten, großer Beliebtheit erfreut. Ein Beitrag im Auswege-Magazin hatte dies, in kritischer Absicht, zum Thema gemacht; einen Tag später erschien dort eine Information über den Leipziger Extremismusforscher Alexander Yendell, der kurioser Weise die konsequente Psychologisierung vermisst und mehr davon fordert.[1]
An Yendells Klage über die unzulässige Politisierung der Tat stimmt nur eins: Die politische Dimension des Falls – der „Scham und Schande“, so der Bundespräsident (DLF, 10.10.19), über „unser“ Land gebracht haben soll – wollte dieses Mal kein Politiker, kein Experte oder Journalist verschweigen. Aber gleich die ersten Stellungnahmen thematisierten den neuen Terrorakt im Blick auf seine Verbindung mit einem „pathologischen Element“ (FAZ, 10.10.19), und die Hintergrundberichterstattung des Blattes vom nächsten Tag („Mörder aus der Meme-Maschinerie“, 11.10.19) konzentrierte sich auf die Persönlichkeitsstruktur von Stephan B.: Hier habe jemand agiert als Teil „einer Subkultur bitterer und verbitterter junger Männer, die keine Frau abbekommen“ (so genannte „Incels“, von „involuntary celibacy“, unfreiwilliges Zölibat). Ähnlich eine Terrorismus-Expertin vom Tagesspiegel: „Auch bei anderen rechten Anschlägen, zeigte sich bei Tätern häufig das Bild eines permanent gekränkten Mannes, der sich von jedem, der ihm nicht gleicht – also nicht gleicher ethnischer Abstammung, nicht männlich, nicht heterosexuell ist – bedroht fühlt. Und dieser Bedrohung versucht, durch Gewalt und Terror Herr zu werden. Durch den Anschlag wäre der Attentäter wohl im eigenen Verständnis kein ‚Loser‘ mehr gewesen, sondern in der rechten Szene zu einem Helden stilisiert worden.“ (10.10.19)
Das „zweite Element“, das die Täterpsyche auszeichnen soll, ist laut FAZ (11.10.19) sowie zahlreichen anderen Hintergrundberichten die „Vorliebe für Computerspiele“. „Natürlich greift es zu kurz“, resümiert die FAZ, solchen Terrorismus mit einem unerfüllten Liebesleben und zu viel Aufenthalt im Internet erklären zu wollen. Aber ohne diese beiden Elemente kommt man diesem modernen Extremismus bzw. Terrorismus angeblich nicht bei. So auch der Spiegel einen Tag später (Nr. 42/19), der von einem neuen Tätertypus spricht, „gegen den die Sicherheitsbehörden bislang machtlos wirken“ (ebd., 13). Diese Täter kommen quasi „aus dem Nichts“ (ebd., 15). Untersuchenswert sei ihre „Persönlichkeitsstruktur“, ihre „netzgeborene“ Mordlust, das Muster ihrer Radikalisierungsprozesse; Stephan B.s Mutter habe von einer schweren Krankheit des Sohns, von Drogenkonsum und Einzelgängertum berichtet etc. (ebd., 16). Bild (12.10.19) hatte mit B.s Vater gesprochen und erfahren, der Sohn sei ein „Eigenbrötler“ gewesen: „Er war weder mit sich noch mit der Welt im Reinen.“ Überhaupt gebe es, wie der Spiegel von einer andere Expertin erfahren hat, „‚keine signifikanten Unterschiede‘ zwischen rechtem, linkem oder muslimischem Antisemitismus“ in Deutschland, der „Vernichtungswille“ sei bei allen derselbe (Nr. 42/19, 21).
Das ist schon eine journalistische Meisterleistung des deutschen Nachrichtenmagazins: Das rechte Weltbild des Täters und seiner Vorläufer liegt für jeden klar auf der Hand, Innenminster Seehofer entdeckt den Rechtsextremismus als „die größte Bedrohung in unserem Land“ (ebd., 16), die Kriminalstatistik weist ca. 90 % der antisemitischen Vorkommnisse dem rechten Lager zu – und dann wird ganz ungerührt die Expertise verbreitet, dass es sich hier um ein allgemeinmenschliches Phänomen handeln soll. Das muss man sich einmal vorstellen: Eine linke Politikerin wie Wagenknecht, die den Staat Israel bzw. die amtierende Regierung kritisiert, oder ein syrischer Halbstarker, der Juden beschimpft, werden mit dem Ausrottungsprogramm der Nazis oder mit Stephan B., der möglichst viele „Anti-Weiße“ (ebd., 14) umbringen wollte, gleichgesetzt. Mit Antisemitismus, so soll man das sehen, ist gewissermaßen die abendländische Conditio Humana imprägniert, er „blüht“, wie es beim Spiegel an anderer Stelle heißt (ebd., 21), „seit Ende des 4. Jahrhunderts“.
Es gibt demzufolge in den meisten Menschen – vielleicht in uns allen, wie eine Expertin bei Maybritt Illner am 10.12.19 verkündete und sich selber in den Vorwurf einschloss – rassistische Anteile bzw. eine Anfälligkeit, sich mit Antisemitismus zu infizieren. Auch die Abhilfe, die (neben der Aufrüstung der Sicherheitsbehörden) empfohlen wird, zielt auf die Persönlichkeitsstruktur: Zivilcourage heißt das Zauberwort! Es stehen eben nicht Aufklärung oder Rassismuskritik im Vordergrund, wenn von präventiven Maßnahmen die Rede ist, sondern die Ermutigung oder Bestärkung von Menschen, couragiert, also mit einem gewissen persönlichen Risiko, in brenzligen Situationen auf- und gegen Zeitgenossen, die Deutschland „Schande“ bereiten, anzutreten.
Der Blick aufs Persönliche ist also definitiv der Tenor der öffentlichen Kommentierung. Dass dabei im Fall von Halle auch das Politische betont wird, liegt an der speziellen „Schande“ des Judenhasses, die natürlich jedermann und vor allem das Ausland an ein vergangenes politisches Regime in deutschen Landen denken (und einen guten Deutschen in „Scham“ versinken) lässt. Und es liegt daran, dass sich mit dem politischen Charakter der Tat ein parteipolitischer Konkurrent, die AfD, belasten und weiter ausgrenzen lässt. Dass mindestens Teile dieser Partei, so der Bundesinnenminister (ARD, 11.1019), Mitschuld für die Tat in Halle tragen, passt natürlich gut ins Konzept der etablierten Parteien, die sich gerade bei den Wahlen in den neuen Bundesländern darum bemühen, den rechten Störenfried zu diskreditieren.
Angesichts dieser Lage muss man dem Statement des Leipziger Wissenschaftlers ausgesprochene Weltfremdheit bescheinigen. Sein Votum für mehr Psychologisierung drückt ansonsten nur den Wunsch aus, im Sinne seines begonnenen Forschungsprojekts weiterzumachen. Einige Argumente dagegen hatte der Auswege-Beitrag vom 11.10.19 (am Beispiel einer speziellen Theorie) vorstellen wollen. Für seine eigenen Position bringt Yendell keine Argumente – außer dem Verweis auf Kollegen, die die Sache genau so sehen, und außer dem absurden Einfall, potentielle Täter würden durch Ursachenforschung und Expertenmeinungen, die aufs Politische fokussieren, in ihren Absichten bestärkt. Abgesehen davon, dass dieses Bedenken nichts mit der Ursachenklärung zu tun hat: Bestärkt werden Täter, die Aufsehen erregen wollen, dadurch, dass in der modernen Mediengesellschaft so etwas gelingt oder gelingen kann. Das zu unterbinden, wäre aber schon aus technischen Gründen der konkurrierenden oder sozialen Medien nur schwer möglich.
Oder denkt der Leipziger Forscher direkt an durchgreifende Zensurmaßnahmen? Maßnahmen, die es übrigens teilweise gibt – so bei Selbstmorden, Steinwürfen auf Autobahnen etc., wo keine Nachahmungstäter durch die Berichterstattung in den Medien hervorgerufen werden sollen. Doch wieso sollte die Information über den politischen Gehalt gerade die Nachahmungstat provozieren, wenn in Wirklichkeit doch eine psychische Störung vorliegt? Wenn z.B., was Yendell allen Ernstes als Indiz vorbringt, die betreffende Person mit 27 Jahren noch bei der Mutter wohnt? Mit solchen Statements kommt jedenfalls die Klärung dessen, was den Rechtstrend antreibt, nicht voran!
[1] Siehe: https://www.magazin-auswege.de/2019/10/der-rassist-ein-autoritaerer-charakter/, 11.10.19. Der Beitrag fokussiert auf die sozialpsychologische Theorie vom „autoritären Charakter“, weist aber auch auf andere Varianten der Psychologisierung hin. Die Mitteilung der Universität Leipzig erschien am 12.10.19: https://www.magazin-auswege.de/2019/10/staerker-auf-die-persoenlichkeit-von-taetern-schauen/.