Die Mühsal der Eigenverantwortung

von Stefan Oehm

Im August 1975 kam es in Erfurt zu gewalttätigen Übergriffen auf algerische Vertragsarbeiter. Ein fremdenfeindlicher Vorfall, der von der Führung der DDR ebenso unter den Tisch gekehrt wurde wie der Mord an zwei Kubanern in Merseburg 1979 und all die anderen Taten, die sich dort in den 70er und 80er Jahren ereigneten. Es konnte ja nicht sein, was nicht sein durfte. Schließlich baute man in internationaler Solidarität gemeinsam am großen proletarischen Projekt „Sozialismus“. Und da hatte man längst jene völkisch-atavistischen Denk- und Verhaltensstrukturen überwunden, die dem kapitalistischen Bruder im Westen noch zu eigen waren.

Denkste. Wo keine selbstkritische Aufarbeitung stattfindet, kann auch nichts überwunden werden. Das Gegenteil war der Fall: Diese Denk- und Verhaltensstrukturen überlebten und manifestierten sich in weiten Teilen der Bevölkerung unterhalb der Wahrnehmungsgrenze. … weiter

 

Weitere Texte von Stefan Oehm im Magazin Auswege

 

Über die unselige Testeritis im Bildungsbereich als Grundlage für das „ Armenbashing“

von Brigitte Pick

„Hoch motiviert, weniger erfolgreich“  lautet eine der Schlagzeilen zum Ergebnis des Leistungsvergleichs der Viertklässler im internationalen Vergleich, der TIMS Studie (Trends in International Mathematics and Science Study). Schon 2007 und 2011 fiel Deutschland im internationalen Vergleich zurück. Auf den vorderen Rängen bewegen sich asiatische Länder sowie Russland. Mantraartig wird auf die sozialen Disparitäten hingewiesen, ohne dass sich irgendetwas ändert. Der soziale Hintergrund hängt Schüler im Bildungsbereich ab. …

Am 6. Dezember wurde die neue Pisa-Studie veröffentlicht, die eigentlich- so Schleicher- der Frage nachgeht, ob der Schule gelingt, eine wissenschaftlich gebildete Generation zu erziehen und wie die Zukunftschancen von benachteiligten Jugendlichen verbessert werden können. Verrät das schon eine Missachtung der Arbeiter und des Handwerks? … weiter


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weitere Aufsätze von Brigitte Pick

Unterrichtsmaterial: Im Einsatz mit „ärzte ohne grenzen“

Rezension von Günther Schmidt-Falck

aerzteohnegrenzen-schuelerbroschuereDie Hilfsorganisation ärzte ohne grenzen e. V. stellt auf ihrer Seite umfangreiches Unterrichtsmaterial aus ihren Arbeitsbereichen für den Einsatz in 5. und 6. Klassen bereit.

Ziele:
Im Vorspann des Begleitheftes für SchülerInnen heißt es dazu:
„Es ist uns von ärzte ohne grenzen sehr wichtig, bereits Kinder mit dem komplexen Thema humanitäre Hilfe und der Arbeit von ärzte ohne grenzen vertraut zu machen. Kinder bekommen humanitäre Krisen in ärmeren Ländern nicht zuletzt durch die Medien mit und bleiben oft mit einem Ohnmachtsgefühl zurück.
Durch dieses Medienpaket möchten wir aufzeigen, wie konkret geholfen werden kann. Unser Ziel ist, dass bereits Kinder lernen, „über den Tellerrand zu blicken“. Wir möchten Solidarität mit Menschen wecken, denen es weniger gut geht. Denn wir sind überzeugt: Hilfe beginnt im Kopf. Die Materialien sind für globales Lernen und politische Bildung geeignet.“

Einsatz:
Ab 5./6. Klasse in Gemeinschaftskunde, politische Bildung, Erdkunde, Sozialkunde, Religion, Ethik. Auch für Jugendliche in weiten Teilen geeignet.

Das Lernmaterial:
Mit dabei sind eine DVD, ein SchülerInnenbegleitheft  und LehrerInnenmaterial mit did.-meth. Hinweisen. Für die Bearbeitung durch die SchülerInnen gibt es Arbeitsblätter, z.B.

  • ein Quiz (umfasst große Teile des Lernstoffes)
  • Arbeitsaufträge für Gruppenarbeiten (Bezug zu den Übungen)
  • Übungen: Medizinische Hilfe und Öffentlichkeitsarbeit (z.B. ein Experiment zum Filtern von Wasser, Impfaktionen, Mangelernährung, medizinische Hilfen, Plakatentwurf usw.)

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Dem Saar sein Spinoza

So geht moderne Geisteswissenschaft, Teil II: „Immanenz der Macht“

von Georg Schuster

„Negris Spinoza ist in der Tat einzigartig – und
zunächst kaum wiederzuerkennen.“ (Martin Saar)

Zur Erinnerung: Anlass für die zwei Teile dieses Aufsatzes (Teil I findet sich hier:
www.magazin-auswege.de/data/2016/11/Schuster_Dem_Saar_sein_Nietzsche.pdf)
war mein Interesse, nach einer recht langen Zeit der Abwesenheit aus Deutschland wieder einen Einblick in sein universitäres Geistesleben zu gewinnen. In dieser Absicht ging ich dem Literaturhinweis eines Alternativseminars in Frankfurt vom Sommersemester 2016 nach: Saar, Martin: Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault. 2007. Davon handelte der erste Teil.

Teil II befasst sich nun mit einem weiteren Werk, genauer der überarbeiteten Habilitationsschrift des Leipziger Professors für Politische Theorie und Didaktik der Gemeinschaftskunde: Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza. 2013 (nachfolgend mit IdM abgekürzt).

Damit, dass mir ausgerechnet Herr Saar in den Blick geraten ist, hat es keine besondere Bewandtnis. An seinem Fall lässt sich lediglich etwas ‚Orientierungswissen‘ über die Strickmuster im zeitgemäßen bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb vermitteln, wie dies auch bei anderen Repräsentanten einer modernen Hochschullehrerschaft möglich wäre. Dass daraus keine leichte Lektüre resultiert, liegt an der Sache.

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Die produktive Kraft der Kultur

von Stefan Oehm

graffiti-by_qimono_pixabay_cc0In Düsseldorf kämpft gerade ein Ballettchef um sein Ballett. Ein Theaterintendant um sein Theater. Das Opernhaus um die Oper. Und die Museumsleiter um den Bestand der städtischen Museumslandschaft.

Völlig legitim – und doch befremdlich. Denn man wird das Gefühl nicht los, dass hier ein jeder angesichts klammer öffentlicher Kassen wie das Karnickel auf die Schlange starrt und versucht, seinen eigenen Beritt gegen finanzielle Begehrlichkeiten seitens der Stadt zu schützen.

Dabei, so scheint es, realisieren die Verantwortlichen nicht recht, dass es gar nicht so sehr um ihre Partikularinteressen, sondern um das Kulturschaffen als solches geht: um dessen gesellschaftliche Legitimierung. … weiter


©Foto: „graffiti“ by qimono, pixabay.com, Lizenz: CC0

Grundsätzlich herrscht eine freudige Lernatmosphäre

Eine Unterrichtsmaßnahme für Asylbewerber-Mütter

von Hannelore Gerlach

Ich lebe in Burghausen und berichte von einer Unterrichtsmaßnahme für Asylbewerber-Mütter. Nachdem bemerkt wurde, dass Mütter mit kleinen Kindern aus allen Sprachgruppen fallen, hat sich hier eine Initiative gegründet.

Wir haben Ende 2015 den sogenannten Mütterkurs für Flüchtlinge ins Leben gerufen. Eingeladen waren alle Mütter mit kleinen Kindern, die noch keinen Kindergarten oder Schule besuchen. … weiter

 

Zum Wahlsieg des Donald Trump

von Brigitte Pick

Randnotizen.gifDie Leitmedien übergießen das Land mit einem politisch korrekten Lamento ohnegleichen über das Desaster der Wahlen in den USA und den Sieg des Trumpschen Wahlteams, das mit den Bandagen des Reality TVs kämpfte und siegte.

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Man spricht ihm sowohl Sinn als auch Verstand ab, ein Nichtswisser, ein Populist. Der Ku-Klux-Clan wird wieder durch die Straßen marschieren etc. Die weißen Amerikaner ohne Hochschulabschluss verschafften Trump den Sieg, wird als Vorwurf formuliert. Zurück zum Klassenwahlrecht ist die Alternative. … weiter

 


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weitere Aufsätze von Brigitte Pick im Magazin Auswege

Dem Saar sein Nietzsche

So geht moderne Geisteswissenschaft, Teil I: „Genealogie als Kritik“

von Georg Schuster

„Negris Spinoza ist in der Tat einzigartig – und
zunächst kaum wiederzuerkennen.“ (Martin Saar)

Negri (geb. 1933) heißt mit Vornamen Antonio, ist ein linker Politikwissenschaftler aus Italien und kommt in den beiden folgenden Texten nur am Rande (dafür in einem geplanten Aufsatz zum sog. Postkapitalismus ausführlicher) vor. Vom niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza (1632-1677) wird im zweiten Text die Rede sein. Und Martin Saar (Jg. 1970), Professor für Politische Theorie an der Universität Leipzig, gab zufälligerweise den Anlass zu diesen Ausführungen.

Seit meiner Rückkehr nach Deutschland* nutze ich die sich nun bietende Gelegenheit, schrittweise und genauer nachzusehen, was sich im universitären Geistesleben – auch bei den Studieninhalten für humanwissenschaftliche Lehrämter – inzwischen so tut oder getan hat.

Dabei geht es mir weniger um große Namen (Prof. Herfried Münkler von der Humboldt-Universität war hier 2015 mein Thema gewesen: www.magazin-auswege.de/2015/07/die-muenkler-watch), sondern eher um den akademischen Normalbetrieb. In dieser Absicht griff ich einen Literaturhinweis auf, den ich per Zufall im alternativen Veranstaltungsverzeichnis des Asta Frankfurt vom Sommersemester 2016 fand:
Saar, Martin: Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault. Frankfurt/M./New York 2007: Campus. 380 Seiten.

Es handelt sich dabei um die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die sich das Frankfurter Alternativseminar ganz freiwillig zu lesen vornahm. Und weil der Professor zudem für die Didaktik der Gemeinschaftskunde verantwortlich zeichnet, also davon auszugehen ist, dass Lehramtsstudierende an seinem Schrifttum auch nolens volens nicht vorbeikommen, sah ich mir auch noch seine editierte, ebenfalls bei einem ausgewiesenen Verlag erschienene Habilitation an:
Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza. Berlin 2013: Suhrkamp. 460 Seiten.weiter


* Wer am Hintergrund dieser persönlichen Bemerkung interessiert ist, den verweise ich gerne auf meinen „pädagogischen Reisebericht“ bei AUSWEGE: www.magazin-auswege.de/2016/10/verkauft-nach-singapur.

Die funktionale Gesellschaft

von Stefan Oehm

person-by_geralt_pixabay_cc0Dieser Tage geschieht in Düsseldorf Befremdliches. Da versucht der Oberbürgermeister in einem kommunalpolitischen Handstreich die gewachsene städtische Kulturlandlandschaft grundlegend zu ändern. Unter seiner Ägide soll es eine völlige Neuordnung der Museumslandschaft geben, die Neubesetzung der Position des scheidenden Chefs des Museum Kunstpalast, Beat Wismer, wird zum Anlass genommen, ein Spardiktat der radikalen Art zu diskutieren: Eine Generalintendanz, die alle wesentlichen Düsseldorfer Museum und Zentren der Kunstvermittlung wie Kunstpalast, Kunsthalle und „Kunst im Tunnel“ zusammenführt.

Dieses Planspiel eröffnet die Option einer verschlankten Verwaltung sprich Einsparung von Personal sprich Kostenreduktion: Wirtschaftsberater sind im Auftrage der Stadt unterwegs, um im Rahmen des Programms „Verwaltung 2020“ Einsparpotenziale zu eruieren. Bis zu einem Fünftel aller Stellen bei der Stadt sollen eingespart werden, Museen und Kulturamt müssen zukünftig mit beträchtlich weniger Mitteln und Mitarbeiter auskommen. …

Doch um Düsseldorf geht es hier nur vordergründig, die Stadt steht lediglich stellvertretend für eine immer weiter um sich greifende, immer machtvoller werdende Tendenz. …

Das pekuniäre Damoklesschwert, das über den Museen, über den Theatern und der freien Kulturszene schwebt, ist eines, das über uns allen schwebt. Insbesondere über denen, die die Kultur als eine zivilisatorische begreifen: Es ist eine unheilige disruptive Kraft, die im Primat der Logik der Ökonomisierung steckt und alles in ihrem Sinne überformt…. weiter

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